Tarifrunde 2018: Beim Streitgespräch der Stuttgarter Zeitung zwischen Dr. Stefan Wolf, Vorsitzender von SÜDWESTMETALL, und dem baden-württembergischen IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger wurden die unterschiedlichen Standpunkte sehr deutlich. Die Metallarbeitgeber lehnen die Forderungen der Gewerkschaft als überzogen, teilweise auch als diskriminierend und rechtswidrig ab. Moderiert wurde das Gespräch von Redakteur Matthias Schiermeyer.
Herr Wolf, die Arbeitgeber bieten der IG Metall 2,0 Prozent mehr Lohn wenn Sie noch 1,5 bis zwei Prozent drauflegen, können Sie sich relativ schnell einig werden?
Wolf: Das Angebot, das wir am Donnerstag vorlegen werden, beteiligt die Mitarbeiter fair am Erfolg der Unternehmen. Sie sind sich darüber im Klaren, welche gewaltigen Veränderungsprozesse in unserer Industrie anstehen. Dass diese etwas kosten, ist klar. Die Mitarbeiter sind bereit, sich daran zu beteiligen.
Herr Zitzelsberger, sind die zwei Prozent für Sie die übliche Provokation?
Zitzelsberger: Ich nehme mal zur Kenntnis, dass man sich bemüht aber es ist weit unter dem, was machbar ist. Da nützt Empörung nichts, es wird einfach nicht reichen, um zum Ergebnis zu kommen. Zumal die Arbeitgeber das Angebot an ihre Flexibilisierungswünsche binden. Das wäre praktisch das Doppel-Null-Paket.
Die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie verdienen im Schnitt mehr als 63.000 Euro im Jahr. Damit eilen fast allen anderen Branchen weit voraus kein Problem für Sie?
Zitzelsberger: Ganz im Gegenteil. Wir haben in Baden-Württemberg eine gut florierende Metall- und Elektroindustrie. Und der Anteil der Höherqualifizierten und höher Bezahlten ist in den vergangenen Jahren ständig gewachsen. Insofern hat das mit Strukturveränderungen zu tun. Und wieso davongeeilt? Den Gewinnen der Unternehmen sind die Verdienste nicht davongeeilt.
Wolf: Von hohen Gewinnen zu sprechen, mag vielleicht für den einen oder anderen Betrieb zutreffen. Aber im Schnitt liegen die Renditen bei zwei bis drei Prozent. Man darf nicht nur von den Unternehmen ausgehen, bei denen es wirklich sehr gut läuft.
Zitzelsberger: Da wird schlicht künstlich herunter gerechnet von der Brutto- auf die Nettorendite nach den steuerlichen Abzügen. Der Anteil der Betriebe, wo es nicht so rund läuft, ist so minimal, dass man sagen kann: In der Breite läuft es gut.
Wolf: Wenn es in drei oder vier Jahren mal schlechter laufen sollte, sind wir nach den üppigen Steigerungen der vergangenen Jahre in den Arbeitskosten zu teuer. Dann wird es zu Verlagerungen kommen, und die Arbeitsplätze wandern ab.
Zitzelsberger: Das können Sie doch nicht auf die Tarifpolitik der IG Metall schieben. Die Tarifverträge werden immer von beiden Seiten unterschrieben. Insofern tragen wir gemeinsam die Verantwortung für diese Entwicklung. Wir leben in einer Prosperität, wie wir sie selten hatten. Und dass es am Ende ein Abschluss sein wird, der nicht ganz bei unserer und nicht ganz bei Ihrer Zahl liegt, ist auch klar.
Nun fordern Sie noch eine Arbeitszeitverkürzung, die auch teuer würde. Langen Sie jetzt voll zu?
Zitzelsberger: Nach unseren Berechnungen reden wir über zusätzliche Kosten, die deutlich weniger als ein Prozent im Gesamtvolumen ausmachen, wenn unsere Forderungen zur Arbeitszeit umfänglich erfüllt werden. Wir wissen sehr wohl, was zumutbar ist.
Herr Wolf, mit ihrer Forderung nach mehr selbstbestimmter Arbeit trifft die IG Metall den Nerv der Zeit. Familiengerechte Arbeitszeiten sind doch ein Weg, Fachkräfte in die Industrie zu locken?
Wolf: Es gibt heute schon Möglichkeiten nach dem Teilzeitgesetz, Arbeitszeit abzusenken das machen viele Mitarbeiter auch. Jetzt kommt die IG Metall mit einer Forderung um die Ecke, die zu einer Diskriminierung führen würde. Nehmen wir die alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, die ihre Arbeitszeit bereits auf 28 Stunden abgesenkt hat. Dazu den alleinerziehenden Vater, der sich um ein Kind kümmert, und der nach einem Tarifabschluss in der IG-Metall-Logik die Arbeitszeit auch auf 28 Stunden reduziert und dafür 200 Euro Entgeltausgleich im Monat erhält. Das ist diskriminierend, ungerecht und aus unserer Sicht rechtswidrig. Daher wird es keinen Teillohnausgleich geben.
Zitzelsberger: Wir werden Fälle in einer solchen Konstellation finden. Wenn Sie sagen, dass es da ein Problem gibt, sagen wir: Wir lösen es, indem wir für diese Beschäftigten schlicht den Zugang zu einem Modellwechsel ermöglichen.
Wolf: Da schieben Sie eine neue Forderung nach übermitteln Sie uns diese erst einmal offiziell.
Zitzelsberger: Wir schieben keine Forderung nach.
Wolf: Natürlich ist das eine neue Forderung, die Sie da auf den Tisch legen. Sie können von uns nicht erwarten, dass wir Altfälle angleichen. Das werden wir mit Vehemenz ablehnen, weil es völlig außer der Welt ist. Das geht gar nicht. Ich kann daher nur empfehlen, die ganze Forderung nach einem Zuschlag bei einer Arbeitszeitverkürzung vom Tisch zu nehmen, damit es nicht zu Diskriminierungen kommt.
Zitzelsberger: Wir werden das definitiv nicht vom Tisch nehmen. Es gibt heute nicht eine Flexibilität, die von den Belegschaften nicht erfüllt wird. In den Betrieben brummt es ohne Ende. Wir sind schon an der Oberkante es sei denn, man erklärt Weihnachten, Silvester und Ostern auch noch zu Arbeitstagen. Stellen Sie uns nicht als die Fortschrittsverweigerer hin das sind nämlich Sie. Sie kommen mit Ihren alten Konzepten: Kosten runter und mehr Flexibilität bis zum Geht-nicht-mehr. Wenn sie mal anerkennen würden, dass die Menschen auch einen Spielraum für ihre Arbeitszeit brauchen, dann könnten wir mal ernsthaft diskutieren. Aber Sie verweigern dies!
Wolf: Der gesellschaftspolitischen Verantwortung für Familie und Pflege werden wir heute schon gerecht. Unsere Unternehmen bieten attraktive Arbeitszeitmodelle an. Gucken Sie mal in die Betriebe rein, wie viele Beschäftigte da Teilzeit für Kindererziehung in Anspruch nehmen. Aber die IG Metall überzieht jetzt einfach mit Forderungen, die keine Rücksicht auf die betriebliche Organisation nehmen: Es ist aber immer noch die Hoheit des Unternehmers, diese Organisation aufrecht zu erhalten.
Die Arbeitgeber haben in der ersten Runde ihrerseits ein Forderungspaket vorgelegt mit einer Beseitigung der betrieblichen Quote für Mitarbeiter, die maximal 40 Wochenstunden arbeiten dürfen, mit längeren individuellen Arbeitszeiten und einer teilweisen Abschaffung des Nachtzuschlags. Streben Sie einen Paradigmenwechsel hin zu genereller Mehrarbeit an?
Wolf: Die Welt ist nicht so statisch, wie die IG Metall meint. Wenn wir weiterhin global aufgestellt sein wollen, müssen wir diese Zeitmodelle anpassen. Das Schöne ist: vor allem die jungen Beschäftigten wollen diesen Prozess doch mitgehen. Die finden es spannend, wie sich die Welt verändert. Eine hohe Prozentzahl von Beschäftigten würde sofort mehr arbeiten, wenn wir diese 18-Prozent-Quote nicht hätten, weil sie mehr verdienen wollen. Warum muss die IG Metall die Menschen in den Betrieben reglementieren?
Ist an dem Katalog irgendetwas diskutabel für die IG Metall?
Zitzelsberger: Solange auf der Gegenseite nicht mal der geringste Ansatzpunkt zu erkennen ist, über unsere arbeitszeitpolitischen Themen zu reden, werde ich einen Teufel tun, irgendeine Arbeitgeberforderung für diskutabel zu erklären.
Auch nach der großen IG-Metall-Umfrage wollen gerade höher qualifizierte Mitarbeiter gerne länger arbeiten. Müssen Sie ihnen nicht entgegenkommen?
Zitzelsberger: Für die überwiegende Anzahl der Beschäftigten ist die 35-Stunden-Woche die Anker-Arbeitszeit. Es gibt Wünsche, länger zu arbeiten aber auch Wünsche, die Arbeitszeit vorübergehend absenken zu können.
Wolf: Das geht doch heute schon.
Zitzelsberger: Heute hängt das vom Gutdünken des Unternehmens ab. Und wenn man abgesenkt hat, hängt der Beschäftigte in der Falle und kann nicht zur alten Arbeitszeit zurückkehren. Ich sag Ihnen mal, was wirklich dahinter steckt: Sie wollen die Zuschläge sparen, die in ungünstigen Zeiten erarbeitet werden. Darum geht es! Darüber werden wir auch den großen Streit kriegen.
Passt das System der Schichtzuschläge noch in die Zeit?
Zitzelsberger: Das ist hundertprozentig zeitgemäß. Die Menschen arbeiten zu Unzeiten und sie arbeiten länger, da ist es nur gerecht, dafür einen Aufschlag zu bekommen.
Wolf: Es ist nicht einzusehen, dass wenn jemand um zwölf Uhr anfängt, aber über 19 Uhr hinaus arbeitet, er bereits ab zwölf Uhr die Spätzuschläge erhält.
Zitzelsberger: Im Regelfall fängt die Spätarbeit erst um 14 Uhr oder danach an. Die Zuschläge sind keine soziale Wohltat. Sie dienen dazu, den Menschen, die ihr soziales Leben auf Spätarbeit ausrichten müssen, einen angemessenen Ausgleich zu geben.
Wolf: Aber nicht ab zwölf Uhr, das passt einfach nicht mehr. Ich spreche aber auch über Projektarbeit. Viele Entwicklungsingenieure sind in globalen Projekten und würden übrigens auch gerne 40 Stunden arbeiten, weil die Projekte interessant sind. Die verstehen diesen Ansatzpunkt. Das Gleiche gilt für die IT, wo wir unglaublich viele Fachkräfte brauchen. Die haben oft den persönlichen Wunsch, erst um 12 Uhr anzufangen und dann bis 21 Uhr zu arbeiten. Da sind diese Zuschläge einfach nicht mehr zeitgemäß.
Am Ende werden nicht nur Argumente zählen, dann wird die IG Metall Druck machen. Welche Rolle wird dann Ihr neues Streikkonzept spielen?
Zitzelsberger: Wenn zu unserer Forderung weiterhin nur Ablehnung kommt, befürchte ich, dass es Anfang Januar Warnstreiks gibt. Da bin ich heute nochmal skeptischer, als ich es schon vorher war. Bisher höre ich nur nein nein nein von den Arbeitgebern.
Was werden Sie dem Druck der IG Metall entgegensetzen angesichts der vollen Auftragsbücher?
Wolf: Wir setzen auf die Vernunft der IG Metall, dass sie erkennt, dass ein Teil ihrer Forderung juristisch nicht haltbar ist. Sie sollte auch einmal überprüfen, ob dann nicht auch alle Streiks zu dieser Forderung rechtswidrig wären. Ich hätte absolut kein Verständnis dafür, wenn die IG Metall hier mit überzogenen Streiks mit dem Kopf durch die Wand gehen wollte.
Eine Prognose: Bis wann werden Sie mit der Tarifrunde durch sein?
Wolf: Wenn die IG Metall sich mal dahingehend äußert, dass unser Angebot in Anbetracht der Veränderungen und des hohen Lohnniveaus angemessen ist und dass wir im Gegenzug zu einer Arbeitszeitverkürzung wegfallendes Arbeitszeitvolumen ausgleichen müssen, dann kommen wir vielleicht relativ schnell durch. Sonst wird es schwierig.
Zitzelsberger: Die entscheidenden Punkte sind: Gibt es den Rechtsanspruch auf eine kurze Vollzeit, gibt es einen Entgeltzuschuss in den Fällen, die wir aufgelegt haben und gibt es eine ordentliche Entgelterhöhung. Da wird es mit Sicherheit noch eine dritte Verhandlungsrunde Mitte Januar geben. Wenn die Arbeitgeber zu den drei Punkten spätestens dann keine andere Haltung an den Tag legen, haben wir nicht die Chance, bis Anfang Februar fertig zu sein. Dann kann es richtig Krach geben.
Bekommen wir eher eine neue Bundesregierung oder einen Tarifabschluss?
Zitzelsberger: Eher einen Tarifabschluss.
Wolf: Unter der Bedingung, dass sich die IG Metall auf uns zu bewegt, eher einen Tarifabschluss.
Das Gespräch moderierte Matthias Schiermeyer.