Dr. Wolf: „Politik muss angesichts von Herausforderungen wie Digitalisierung wieder mehr Wirtschaft wagen“

Die Metallarbeitgeber in Baden-Württemberg haben die Politik zu einer Kurskorrektur in der Wirtschafts- und Sozialpolitik nach der Bundestagswahl im September aufgerufen.

„Die vergangenen Jahre waren aus Sicht unserer Industrie eine Enttäuschung, weil mehr darüber diskutiert wurde, wie wir das Geld verteilen können, statt darüber, wie wir es erwirtschaften“, sagte der Südwestmetall-Vorsitzende Dr. Stefan Wolf am Mittwoch bei der Mitgliedversammlung des Arbeitgeberverbands in Böblingen. An die sechs Parteienvertreter, die bei der Veranstaltung an einer Podiumsdiskussion teilnahmen, appellierte er: „Die Politik muss angesichts von Herausforderungen wie der Digitalisierung wieder mehr Wirtschaft wagen.“

Wolf benannte sieben Handlungsfelder, auf die die Politik ihren Fokus legen sollte:

  • Rahmenbedingungen für eine moderne, wettbewerbsfähige Arbeitswelt in einem digitalen Umfeld gestalten,
  • eine zukunftsfähige Ausbildung und Qualifizierung entwickeln,
  • Belastungen vermeiden, Investitionen stärken,
  • Forschung, Innovation und Gründergeist fördern,
  • leistungs- und wettbewerbsfähige Infrastrukturen sichern,
  • internationale Wertschöpfungsketten erhalten sowie
  • die Tarifautonomie wahren und Flächentarife stärken.

Digitalisierung und Arbeitswelt:

Konkret forderte Wolf, die gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt an die Veränderungen durch die Digitalisierung anzupassen: „Sonst werden wir die Chancen durch Digitalisierung nicht vollständig nutzen können. Mit Regelungen aus dem letzten Jahrhundert werden wir den Wettlauf um Industrie 4.0 nicht gewinnen.“ Die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes seien dabei zu starr: „Uns geht es dabei nicht um eine Verlängerung der gesetzlichen Arbeitszeit, sondern um deren flexiblere Verteilung.“

Fachkräftesicherung, weniger Belastungen, Zukunftsinvestitionen:

Der Südwestmetall-Vorsitzende forderte auch mehr Anstrengungen in der Fachkräftesicherung: „Sonst wird der Fachkräftemangel bald ein dritter Grund sein, weshalb immer mehr Unternehmen im Ausland investieren – nach den Kosten und der Erschließung von Märkten.“ Eindringlich warnte er vor weiteren Belastungen für die Betriebe: „Mit Sorge beobachte ich, wie derzeit das Thema Rente in den Wahlkampf hineingetragen wird – teilweise mit großen Versprechungen, die viel Geld kosten werden.“ Je stärker die Unternehmen jedoch belastet würden, desto mehr werde dies Spuren beim Wachstum hinterlassen: „Sinnvoller wäre es, Geld in Investitionen umzulenken, die für noch mehr Menschen Zukunftsperspektiven schaffen, etwa Bildung, Infrastruktur oder die Entwicklung neuer Technologien. Das wäre ein guter Beitrag für mehr Gerechtigkeit.“

Steuerliche Forschungsförderung, Ausbau digitale Infrastruktur:

Wolf erneuerte dabei die Forderung nach einer steuerlichen Forschungsförderung aller forschenden Unternehmen: „In 28 von 35 OECD-Staaten sind solche Möglichkeiten schon gängige Praxis. Unser Hochtechnologieland hat also ausgerechnet in diesem Punkt einen Wettbewerbsnachteil.“ Als zu wenig ambitioniert bezeichnete er die Ziele beim Ausbau der digitalen Infrastruktur, der nur schleppend vorankomme.

Freihandel, Stärkung der EU:         

Weltweiten Freihandel und eine leistungsfähige Europäische Union seien Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg der deutschen Industrie: „Die globale Arbeitsteilung wird weiter voranschreiten. Wer glaubt, dieses Rad durch Protektionismus zurückdrehen zu können, wird Schiffbruch erleiden.“ Auch die EU müsse wieder gestärkt werden, indem sie sich auf ihre Kernkompetenzen konzentriere. Dies erreiche man nicht durch eine Ausweitung der EU-Kompetenzen in der Sozialpolitik: „Nirgendwo wird so viel Geld für Soziales ausgegeben wie in Europa. Hier gibt es keinen Nachholbedarf, bei der Wettbewerbsfähigkeit hie und da schon.“

Tarifpolitik: Überzogene Vorstellungen der IG Metall

Der Verbandsvorsitzende ging auch auf die bevorstehende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie ein, in der die IG Metall neben dem Entgelt wohl auch Forderungen zur Arbeitszeit aufstellen wird. Im Fokus stehen dabei voraussichtlich Ansprüche der Arbeitnehmer auf eine Arbeitszeitreduzierung mit Entgeltausgleich, um sich zum Beispiel mehr um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern zu können. Wolf kritisierte diese Vorstellung scharf: „Unsere Auftragsbücher sind voll, die Fachkräfte werden knapp, unsere Kostensituation ist kritisch. Und die IG Metall fordert eine Arbeitszeitverkürzung, die Arbeit auch noch verteuern würde.“ Dass die Gewerkschaft dazu den Manteltarifvertrag kündigen wolle, bezeichnete Wolf als schwerwiegenden Schritt: „Aber dass IG-Metall-Chef Hofmann damit droht, dass die ‚Hütte brennen‘ werde, wenn wir dies für Gegenforderungen nutzen sollten, zeugt von einem bemerkenswerten Verständnis von Tarifpartnerschaft.“

Betriebe benötigen Flexibilität

Wolf bezeichnete die Wünsche der Beschäftigten nach mehr Flexibilität und Zeitsouveränität zwar als verständlich. Und in einer digitalisierten Arbeitswelt könne man manches möglich machen, was früher undenkbar gewesen sei. Allerdings müssten auch die Flexibilitätsanforderungen der Betriebe angemessen berücksichtigt werden: „Wenn wir also bei der Arbeitszeit über Flexibilität nach unten nachdenken wollen, benötigen wir auch einen Ausgleich nach oben.“ Dabei gehe es nicht um das Ende der 35-Stunden-Woche: „Aber wir benötigen rund um dieses starre Modell herum mehr Flexibilität, mehr Abweichungsmöglichkeiten. Das wünschen sich im Übrigen auch viele Arbeitnehmer.“

Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl:

Im öffentlichen Teil der Mitgliederversammlung von Südwestmetall fand in der Motorworld Region Stuttgart in Böblingen vor rund 350 Gästen eine Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl statt. Auf dem Podium waren neben dem Südwestmetall-Vorsitzenden Dr. Stefan Wolf Spitzenrepräsentanten der sechs Parteien vertreten, die nach derzeitigem Stand Chancen auf den Einzug in den nächsten Bundestag haben:

  • Andreas Jung, Vorsitzender der CDU-Landesgruppe Baden-Württemberg im Bundestag, MdB
  • Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen, Spitzenkandidatin Baden-Württemberg, MdB
  • Leni Breymaier, SPD, Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin Baden-Württemberg
  • Michael Theurer, FDP, Landesvorsitzender und Spitzenkandidat Baden-Württemberg, MdEP
  • Professor Dr. Jörg Meuthen, AfD, Bundessprecher, MdL
  • Bernd Riexinger, Die Linke, Bundesvorsitzender und Spitzenkandidat Baden-Württemberg

Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Inga Michler („Die WELT“).

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