Dr. Schulz: „Mehrzahl der Betriebe kann sich keine weitere Kostenbelastung durch Tariferhöhung leisten“
22. Juni 2022
Knapp ein Viertel der Unternehmen in der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie (M+E) plagen angesichts zahlreicher Herausforderungen wie Lieferengpässen und Ukraine-Krieg existenzielle Sorgen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die der Arbeitgeberverband Südwestmetall am Mittwoch in Stuttgart vorgestellt hat. „Die Firmen leiden vor allem unter teils enormen Preissteigerungen bei Energie, Rohstoffen oder Vorprodukten“, sagte der Verbandsvorsitzende Dr. Joachim Schulz: „In dieser Situation kann sich die Mehrzahl der Betriebe daher eigentlich keine weitere Kostenbelastung durch eine Tariferhöhung leisten.“
Laut der Umfrage sehen 23 Prozent der Befragten im Südwesten ihr Unternehmen als „wirtschaftlich gefährdet“ an – etwas mehr als im Durchschnitt der bundesweiten Befragung. 61 Prozent rechnen in diesem Jahr aufgrund des aktuellen wirtschaftlichen Umfelds mit weniger Umsatz, sogar 81 Prozent mit weniger Gewinn. Als Reaktion auf das veränderte Wirtschaftsumfeld reduzieren oder verschieben zwei Drittel der Befragten Investitionen, 63 Prozent diversifizieren ihre Lieferketten. Etwas ausgeprägter ist in Baden-Württemberg das Thema Personalabbau mit 27 Prozent (bundesweit: 20 Prozent).
Die Auftragslage sei zwar nach wie vor gut, aufgrund der Lieferengpässe erhole sich die Produktion aber immer noch nur langsam, so Schulz: „Das Vorkrisenniveau von 2018 liegt noch in sehr weiter Ferne.“ Dabei sei zu beobachten, dass die Heterogenität in der M+E-Industrie in den letzten Jahren deutlich zugenommen habe. So habe z.B. die Elektrotechnik das Vorkrisenniveau wieder erreicht, während der Fahrzeugbau weit hinterherfahre: „Dabei verläuft nicht nur die Produktion immer unterschiedlicher. Auch die Gewinnmargen driften immer weiter auseinander – teils auch innerhalb der Branchen selbst.“
Angesichts einer Weltwirtschaft an der Klippe zum Abschwung vertrage die M+E-Industrie keine weiteren, unumkehrbaren Kostenbelastungen, sagte Schulz: „Und wir müssen allen Betrieben tarifliche Lösungen anbieten, die ihrer jeweiligen Situation gerecht werden.“ Das Prinzip „One size fits all“ passe überhaupt nicht mehr zur aktuellen Entwicklung und zu einer äußerst volatilen Weltwirtschaft: „Mit einem hohen Tarifabschluss würden wir die Not vieler Firmen vergrößern oder sie aus dem Verband und der Tarifbindung treiben. Dies wollen wir unbedingt verhindern.“
Die Forderungsempfehlung des IG-Metall-Vorstands in Höhe von sieben bis acht Prozent bezeichnete Schulz vor diesem Hintergrund als „unrealistisch und schädlich“. Sie werde eine Lösungssuche in der im Herbst anstehenden Tarifrunde „enorm erschweren“. Dass die Gewerkschaft zur Begründung die Rahmendaten von zwei vollen Jahren heranziehe, sei abenteuerlich, so der Südwestmetall-Vorsitzende: „Ärgerlich ist auch, dass die IG Metall wiederholt behauptet, die Metaller hätten seit 2018 keine dauerhaft wirksame Lohnerhöhung bekommen. Das ist schlicht unwahr.“ Durch die Einführung mehrerer fester, jährlich wiederkehrender Entgeltbausteine stünden den M+E-Beschäftigten heute jährlich rund fünf Prozent oder gut 3.000 Euro mehr zur Verfügung als noch vor vier Jahren.
Die Umfrage unter den Mitgliedsfirmen von Südwestmetall wurde in der zweiten Maihälfte im Verbund mit den Schwesterverbänden in den anderen Bundesländern durchgeführt. Die bundesweiten Ergebnisse hat der Dachverband Gesamtmetall am vergangenen Wochenende vorgestellt. An der Umfrage beteiligten sich im Südwesten 310 Unternehmen mit rund 300.000 Beschäftigten. Das entspricht einer Beteiligungsquote von knapp 50 Prozent der Mitgliedsunternehmen und von knapp 60 Prozent der Beschäftigten. Bundesweit lag die Beteiligung bei 1.432 Unternehmen mit rund 1,7 Millionen Beschäftigten.